Seine Spielweise
Wie die erwähnte Episode mit seiner ersten und einzigen Musiklehrerin Schulfräulein Jutta Überreiter zeigt (vgl. Leben und Wirken als Volksmusikant), spielte Hans Matheis von Anfang an nur nach dem Gehör. Da er alle Stücke sofort nachspielen konnte, legte er auf Notenkenntnisse überhaupt keinen Wert.
Wie die erwähnte Episode mit seiner ersten und einzigen Musiklehrerin Schulfräulein Jutta Überreiter zeigt (vgl. Leben und Wirken als Volksmusikant), spielte Hans Matheis von Anfang an nur nach dem Gehör. Da er alle Stücke sofort nachspielen konnte, legte er auf Notenkenntnisse überhaupt keinen Wert.
Wera Matheis, Tochter von Hans Matheis, Klavierlehrerin am musischen Pestalozzi-Gymnasium in München:
Von klein auf war Musikmachen und Vor-Publikum-Auftreten essentiell notwendig für sein Wohlbefinden. Die Zuhörer in ihrem Innersten anzurühren, mit einem Gänsehaut-Stück nach dem anderen und scharf pointierten Rhythmen den Tanzboden zum Brodeln zu bringen, mit seiner stupenden Spieltechnik in Staunen zu versetzen, das war für ihn lustvoll sinnlicher Spaß. Je mehr Aufmerksamkeit er sich sicher sein konnte, umso hinreißender und ausgelassener spielte er. Je mehr es gerade in einem bestimmten Augenblick darauf ankam, wirklich gut zu sein, umso mehr wollte er es wissen und – etwaiges Lampenfieber fest im Griff – sein Können zeigen. Damit ihm das zuverlässig gelingen konnte, brauchte es einen geradlinigen und starken Charakter und phänomenale Kondition. Und er wusste genau, dass er sich einiges erlauben konnte – sofort würde man ihm verzeihen, wenn er sein Instrument in die Hand nahm. Beim Spielen war er ausgeglichen, und seine Launen verflogen.
Mit vierzig Jahren hat mein Vater das professionelle Harmonikaspiel begonnen. Der Kölbl Alois hatte ihm eine vierreihige „Ziach“ ausgeliehen, und das kam ihm zupass, denn er wollte sich nach den Jahren als Tanzmusiker musikalisch völlig neu orientieren. … Natürlich lag ihm die Volksmusik im Blut. Er war durch seine jahrelange Mitgliedschaft im Trachtenverein von Oberpolling sowohl als Tänzer als auch als Begleiter der Tanzeinlagen auf der Harmonika mit ihr aufgewachsen. Und so brauchte es nur eine „Eingewöhnungsphase“, und alles war wieder da: die Haltung, die Fingersetzung, die Griffweisen, die Kenntnis von Gegengriffen (identische Töne in einer anderen Knopfreihe. Durch ihre Benutzung lässt sich das „Stessn“, also ruckartiges Hin- und Herbewegen des Balges, verringern).
Aber der Ehrgeiz hatte ihn gepackt, er wollte einer der Besten werden. Die Spielweise und Stückln der oberbayerischen Ziachvirtuosen Auer Hans und Häußler Hias trafen genau seinen Nerv. Er fühlte sich der „echten“, unverfälschten Volksmusik, ursprünglich und handwerklich „richtig“ in allen musikalischen Belangen wie Form, harmonischer Aufbau, Rhythmus, Artikulation und Phrasierung verbunden. Er wollte nicht entstauben oder „veredeln“, sondern den Traditionslinien treu nachfolgen. Freilich, ganz unbestechlich war mein Vater nicht. Auch mit der eher volkstümlichen Variante des „Fürstenstoana Trios“ hatte er seinen Spaß. Hier gab es keine musikalischen „Fesseln“, keine zu engen harmonischen Grenzen. Er konnte spielen und improvisieren nach Lust und Laune ...
Unvergessen bleibt für mich das Fest zum 50. Geburtstag von meinem Onkel Karl Berlinger im Gasthaus Kerber in Fürstenstein (1988 war das) ... Ein rauschendes Fest … Papa spielte mit dem Fürstenstoana Trio zum Tanz auf, querbeet aus ihrem großen Repertoire. Flotte Tanznummern wechselten sich ab mit gefühlsseligen Liedern, die unser niederbayerisches Gemüt zu Tränen rührten. Für meinen Vater war der Abend musikalisch gesehen ein Heimspiel – und er war in seinem Element. Seine improvisierte Begleitung der Gesangseinlagen ließ mich ein ums andere Mal aufhorchen. Hier ein vornehmer Schnörkel, ein kesses „Gangerl“, dort eine elegante Wendung, eine charmante Umspielung, ein überraschender harmonischer Tupfer. Nicht zu viel und nicht zu wenig, den Sängern immer genügend Raum lassend, dezent im Hintergrund, stilsicher und mit Geschmack. Und diese fein ziselierte Artikulation, diese Nuancen! – den Ton ein bisschen gedehnt, eine Winzigkeit kürzer, sanft oder etwas heftiger angestoßen oder an den nächsten angeschmiegt, eine ganze Phrase wie hingegossen im dichtesten Legato und in der x-ten Wiederholung alles noch mal ganz anders. Seine gute Laune und sein inspiriertes Spiel waren eins, aus dem Herzen in die Fingerspitzen. Und das alles aus dem Stegreif, spontan hingeworfen, mit leichter Hand – ein Geniestreich.
Wie konnte er das, ein Autodidakt, der nie eine Musikschule von innen gesehen hatte? Zweifellos war die Begegnung mit dem von ihm hochverehrten Hans Zettl in den sechziger Jahren ein seltener Glücksfall. Der geniale Klarinetten- und Saxophonspieler hatte ihn in die Jazzharmonik eingeführt und ihm vertrackte Griffe auf dem Akkordeon gezeigt. Von dem einen oder anderen Bandmitglied mag er manches abgeschaut und übernommen haben. Aber von einem „Lehrmeister“ über einen längeren Zeitraum kann keine Rede sein. Ein Glücksfall mag auch sein, dass er nie Notenlesen gelernt hatte, sich auch nicht damit befassen wollte. Und für die speziell für die Steirische Harmonika entwickelte Griffschrift hatte er auch nichts übrig. Er war von Kindesbeinen an auf seine Ohren angewiesen, und dieses Training bescherte ihm schließlich ein phänomenales musikalisches Gehör.
Wie die Jazzeleven, die via Tonträger von ihren Idolen nach Gehör lernen, ist er vorgegangen. Innerhalb kürzester Zeit hat er neue Stücke gelernt, konnte sie oft schon nach einmal Anhören nachspielen. Das Erlernen der Notenschrift war folglich zu keinem Zeitpunkt notwendig. Ich möchte sogar behaupten, dass seine musikalische Auffassungsgabe und die Fähigkeit, jedes Stück, auch wenn es ihm völlig unbekannt war, zu begleiten oder improvisatorisch zu umspielen, nicht dieses Niveau erreicht hätten, vielleicht sogar verkümmert wären, wenn er nur oder überwiegend nach Noten gespielt hätte. „Spej o, i find di scho“, konnte er deshalb unbekümmert ausrufen, wenn er – was ihm immer große Freude machte – einem anderen Ziachspieler auf seine unnachahmliche Weise „zuawefawen“ (dazufärben) konnte. Für diese Gabe war er regelrecht berühmt. Und berühmt war er auch für seine schnellen Finger. Aber ganz gleich, wie schnell oder wie laut sein Spiel war, bloße Zurschaustellung der Fingerfertigkeit und seelenloses Lärmen ist es nie gewesen.
Im Zusammenspiel, im Miteinander gemeinsamen Musizierens legte er größten Wert auf ein einheitliches musikalisches Verständnis. Im aufmerksamen Aufeinanderhören sollte ein homogener Gesamtklang wie aus einem Guss entstehen, eine Einheit in Ausdruck und Artikulation der einzelnen Stimmen. Jedem Detail in der Ausgestaltung widmete er sich mit Hingabe. Und welch ein weiterer Glücksfall war es, dass er immer wieder auf Musiker traf, die mit ihm dieses spieltechnisch und musikalisch hohe Niveau gehen konnten und wollten.
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 205 ff.)
Harti Pilsner, Gitarrist der Häuslmo-Musi von 1980 bis 1989:
Die erste Probe fand im Haus von Hansl und Irma statt: Es war gigantisch. Schon nach den ersten paar Takten wusste ich, dass ich meinen Vorstellungen von einer Musikgruppe mit diesen Musikanten nicht nur sehr nahe kam, sondern meine Erwartungen übertroffen wurden. Eigentlich hätten wir sofort öffentlich spielen können. Ich glaube, Hansl konnte das ganze Spielgut der Gerstreit und anderer oberbayerischer Musikanten rauf und runter spielen – in einer Präzision, die uns alle schon damals immer wieder verblüffte. Technische Schwierigkeiten schienen für ihn überhaupt nicht existent ... Natürlich blieb es nicht lange bei dem Spielgut von unseren oberbayerischen Vorbildern. Hans strömte nur so über vor neuen Melodien, die ihm zu allen möglichen Gelegenheiten einfielen. Und da Hans ja in erster Linie die Führungsmelodien spielte, prägte er natürlich den Musizierstil der Häuslmo-Musi ganz besonders. Dass die Musiziernächte, ob bei Veranstaltungen oder Proben, immer sehr lang wurden, war auch sehr oft dem Hansl zu verdanken, dem immer noch ein Stückl einfiel – selbst nach stundenlangem Musizieren und Weißbiergenuss. Um ein weiteres Stückl anbetteln musste man ihn wirklich nicht!
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 164)
Alfons Riesinger, Kontrabassist der Häuslmo-Musi:
Da ich mich vor meiner Zeit bei der Häuslmo-Musi selber an die zehn Jahre mit der „Diatonischen“ beschäftigt hatte (mit Kursen bei Lehrern wie Peter Posch, dem Auer Hansi oder dem Winkler Sepp, alle aus Oberbayern), wusste ich natürlich, mit welchen Griffen der Hans seiner „Ziach“ die schönsten Melodien, die auch zudem noch meist von ihm selber stammten, zu entlocken wusste. Ich begriff aber nie, woher er diese traumwandlerische Sicherheit und Präzision trotz der manchmal immensen Schnelligkeit hatte, gepaart mit einer unvergleichlichen Musikalität im Ausdruck wie Tempoverzögerungen oder unterschiedlicher Lautstärke usw. usw. Hier spielten sicher auch die Routine und Erfahrung eine große Rolle, die er sich seit seiner Jugend bis zu den Jahren bei der Häuslmo-Musi als Musiker auf dem Akkordeon und dem E-Piano in Tanzmusik-Ensembles erworben hatte.
Hans spielte nicht einfach wie viele andere Musiker. Nein, bei ihm sprang sofort der sprichwörtliche Funke über und zog die Zuhörer (und seine Mitspieler) in Bann. Ich bewunderte ihn einfach! Hans wusste das, ich hatte es ihm auch tausend Mal gesagt. Minutenlang schaute ich ihm oft „auf die Finger“. Das bemerkte er rasch. Dann huschte nur ein verschmitztes Lächeln über seine Lippen und in seinen Augen funkelte es! Das war für ihn stets ein Anreiz, noch „einen Zahn zuzulegen“, wie immer, wenn ihm jemand zusah. Das liebte er – warum auch nicht! Er hatte nichts zu verstecken (es wäre auch maustot schade gewesen!). Mit seinem musikalischen Vermögen hatte er nur zu bieten – und das im Überfluss!
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 173 f.)
Michael Schneider, Gitarrist der Häuslmo-Musi von 1989 bis 1997:
Wie funktionierte nicht das musikalische Zwiegespräch zwischen ihm, dem Melodienmaler, und mir, dem Begleiter, dem es vergönnt war, durch heiß und innig geliebte Bassläufe und Staccati auf der Gitarre Inspiration sein zu dürfen! Wir lachten oft aus lauter Spiellust laut drauf los, was von den übrigen Musikanten manchmal nicht gleich verstanden wurde. Es war ein ständiges Bemühen, dem anderen die Tür für eine neue musikalische Perspektive zu öffnen, um sich dann gemeinsam daran zu erfreuen. Es waren die schönsten Gespräche zwischen zwei Menschen ohne Worte!
Das Gesicht voller Schalk und Selbstwert, wenn er durch seine unnachahmliche, tänzerische und zugleich tief die Musik atmende Spielweise die Gesichtszüge seiner Zuhörer und Zuseher vor lauter Staunen entweder zum Entgleisen brachte oder die Mimik derselben in Leuchtschrift lesbar machte. Oft hatte man das Gefühl, dass es seine Zuhörer gar nicht richtig glauben konnten, was da ablief, wenn er mit seiner Virtuosität ein musikalisches Feuerwerk nach dem anderen abbrannte: eine alles entfesselnde Musikalität vom ersten bis zum letzten Takt und zur Krönung sein Lachen, wenn die Musik als Transportmittel seiner Gefühle wie immer so gut funktionierte!
Überhaupt: Ich habe den Hans nie Töne spielen hören – er hat immer Musik gemacht! Welche Fähigkeit, Gefühle auszudrücken – ob schäumende Wut oder überschwängliche Freude! Lauwarme Suppe gab es bei ihm nicht: entweder heiß oder kalt!
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S.189 f.)
Klaus Hoffmann, Geschäftsführer des Vereins für bayerische Musikkultur im ostbayerischen Raum:
Ich hörte ihn mit meinem Vater spielen und verstand seine Spielweise nicht. Dazu muss man sagen, dass ich zu dieser Zeit, Anfang der 1980er-Jahre, die ersten Gehversuche auf der Steirischen Harmonika unternahm und bereits wusste, dass man nur durch fleißiges Üben einen Auftritt bewältigen konnte. Deshalb begriff ich nicht, wie der Hans ohne Probe einfach eine Stimme zu einem ihm relativ unbekannten Stück dazuerfinden konnte. Er wechselte gekonnt zwischen dritter Stimme, Nebenstimme, einfacher Begleitung und kreierte damit ein neues Werk. Er war ein Meister der Improvisation auf der Steirischen und zu dieser Zeit einer der ganz wenigen, die das praktizierten. Die meisten Harmonika-Spieler bringen es nie zur Kunst des freien Dazuspielens und präsentieren sich in ihrer musikalischen Laufbahn als relativ wenig kreative Musikanten.
Er war natürlich nicht nur Begleiter, sondern vorwiegend Solospieler, der von anderen begleitet wurde, und er war in allem, was er tat, Perfektionist. Was heißt das eigentlich? Er versuchte zu jeder Zeit, gute Musik interessant zu gestalten und anspruchsvoll darzubieten, was ihm zweifelsfrei gelungen ist. Fehlerfreies Spiel und musikalische Hingabe verlangte er selbstverständlich auch von seinen Mitstreitern, denn er wusste sicher schon früh, dass eine Gruppe oftmals so gut klingt wie ihr schlechtestes Mitglied.
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 218)
Josef Wimmer, Volksmusikpfleger des Landkreises Passau 1995 bis 2005:
Ich durfte ihn mit der Häuslmo-Musi und dem Häuslmo-Dreig’sang bei vielen Veranstaltungen erleben, war begeistert von seinen Stücken und dem gekonnten Vortrag auf seiner Harmonika.
Meine Begegnungen mit Hans Matheis waren wie eine sehr abwechslungsreiche „volksmusikalische Sinfonie“. Da rasten mit flinken Fingern in einer schnellen Polka oder einem Galopp die lustigen, wilden, ausgelassenen und erheiternden Seiten des Lebens vorbei. In moderaten, leisen, ruhigen Liedern und getragenen Stücken kam Nachdenkliches und Tiefgründiges zum Vorschein, die Seele konnte dabei „baumeln“ und seine Zuhörer konnten die Erholung genießen und wieder Kraft tanken. Die gemütlichen Seiten des Alltages und ein zufriedenes Lebensgefühl zeigte er uns in den Baierischen und den Münchner Polkas, die trotz ihrer langsamen Gangart für viel Abwechslung sorgten. Ausgewogenheit, Schwung und vielleicht auch Übermut bereitete er uns mit den vielen Walzern, die ihn und uns mit leichten Füßen durch das nicht immer leichte Leben schweben ließen. War da nicht auch in manchen musikalischen Wendungen und Übergängen der Schelm und liebenswerte Gauner ausfindig zu machen?
Es konnten die Spielanlässe noch so unterschiedlich sein, doch eines fehlte dem Hans bei der Präsentation seiner Stücke nie: das Herz, mit dem er uns die Musik präsentierte. Jeder, der ihm zuhörte, wurde in den Bann gezogen und kam davon nicht mehr los.
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 18)
Franz-Xaver Lechner, Musiklehrer am musischen Pestalozzi-Gymnasium in München:
Hans Matheis ist ein moderner Volksmusikant, und zwar in dem Sinn, dass er bayerische Volksmusik geschaffen hat, die ebenso frisch, originell und frech daher kommt wie jede andere als modern empfundene Musik auch. Damit kommt ihm das seltene Verdienst zu, die Ziachmusik aus der museal verstaubten Verpackung heraus gehalten zu haben. Hier handelt es sich nicht um verblassende Erinnerungsstücke aus der guten alten Zeit, sondern um zeitlos aktuelle Musik, die so selbstverständlich zu unserem bayerischen Lebensgefühl gehört wie die Heumandln bei Garmisch und das Internet.
Was ganz wesentlich zu der so erfreulichen Erscheinung beiträgt, ist die unglaubliche Virtuosität des Hans Matheis auf seiner Steirischen. Die kommt so unprätentiös und mit einer solchen Spielfreude daher, dass man meinen könnte, es sei nichts Besonderes, auf dem Knopfakkordeon die schwierigsten Passagen mühelos zu spielen und auch noch so herrlich musikalisch zu gestalten. Tatsächlich aber reiht er sich mit seinem Erfindungsreichtum, seinem Können und seiner Ausdrucksfähigkeit in eine Tradition, die andernorts mit Astor Piazolla im Tango nuevo und André Verchuren in der Musette bereits klingende Namen erhalten hat.
Noch eines soll über die Musik gesagt werden, und das ist zunächst eine ganz subjektive Empfindung: Seine Stücke haben gleich beim ersten Hören eine bezaubernde Wirkung, ja, eine sympathische Ausstrahlung.
(aus: Booklet zur CD Matheis’n-Polka)
Von klein auf war Musikmachen und Vor-Publikum-Auftreten essentiell notwendig für sein Wohlbefinden. Die Zuhörer in ihrem Innersten anzurühren, mit einem Gänsehaut-Stück nach dem anderen und scharf pointierten Rhythmen den Tanzboden zum Brodeln zu bringen, mit seiner stupenden Spieltechnik in Staunen zu versetzen, das war für ihn lustvoll sinnlicher Spaß. Je mehr Aufmerksamkeit er sich sicher sein konnte, umso hinreißender und ausgelassener spielte er. Je mehr es gerade in einem bestimmten Augenblick darauf ankam, wirklich gut zu sein, umso mehr wollte er es wissen und – etwaiges Lampenfieber fest im Griff – sein Können zeigen. Damit ihm das zuverlässig gelingen konnte, brauchte es einen geradlinigen und starken Charakter und phänomenale Kondition. Und er wusste genau, dass er sich einiges erlauben konnte – sofort würde man ihm verzeihen, wenn er sein Instrument in die Hand nahm. Beim Spielen war er ausgeglichen, und seine Launen verflogen.
Mit vierzig Jahren hat mein Vater das professionelle Harmonikaspiel begonnen. Der Kölbl Alois hatte ihm eine vierreihige „Ziach“ ausgeliehen, und das kam ihm zupass, denn er wollte sich nach den Jahren als Tanzmusiker musikalisch völlig neu orientieren. … Natürlich lag ihm die Volksmusik im Blut. Er war durch seine jahrelange Mitgliedschaft im Trachtenverein von Oberpolling sowohl als Tänzer als auch als Begleiter der Tanzeinlagen auf der Harmonika mit ihr aufgewachsen. Und so brauchte es nur eine „Eingewöhnungsphase“, und alles war wieder da: die Haltung, die Fingersetzung, die Griffweisen, die Kenntnis von Gegengriffen (identische Töne in einer anderen Knopfreihe. Durch ihre Benutzung lässt sich das „Stessn“, also ruckartiges Hin- und Herbewegen des Balges, verringern).
Aber der Ehrgeiz hatte ihn gepackt, er wollte einer der Besten werden. Die Spielweise und Stückln der oberbayerischen Ziachvirtuosen Auer Hans und Häußler Hias trafen genau seinen Nerv. Er fühlte sich der „echten“, unverfälschten Volksmusik, ursprünglich und handwerklich „richtig“ in allen musikalischen Belangen wie Form, harmonischer Aufbau, Rhythmus, Artikulation und Phrasierung verbunden. Er wollte nicht entstauben oder „veredeln“, sondern den Traditionslinien treu nachfolgen. Freilich, ganz unbestechlich war mein Vater nicht. Auch mit der eher volkstümlichen Variante des „Fürstenstoana Trios“ hatte er seinen Spaß. Hier gab es keine musikalischen „Fesseln“, keine zu engen harmonischen Grenzen. Er konnte spielen und improvisieren nach Lust und Laune ...
Unvergessen bleibt für mich das Fest zum 50. Geburtstag von meinem Onkel Karl Berlinger im Gasthaus Kerber in Fürstenstein (1988 war das) ... Ein rauschendes Fest … Papa spielte mit dem Fürstenstoana Trio zum Tanz auf, querbeet aus ihrem großen Repertoire. Flotte Tanznummern wechselten sich ab mit gefühlsseligen Liedern, die unser niederbayerisches Gemüt zu Tränen rührten. Für meinen Vater war der Abend musikalisch gesehen ein Heimspiel – und er war in seinem Element. Seine improvisierte Begleitung der Gesangseinlagen ließ mich ein ums andere Mal aufhorchen. Hier ein vornehmer Schnörkel, ein kesses „Gangerl“, dort eine elegante Wendung, eine charmante Umspielung, ein überraschender harmonischer Tupfer. Nicht zu viel und nicht zu wenig, den Sängern immer genügend Raum lassend, dezent im Hintergrund, stilsicher und mit Geschmack. Und diese fein ziselierte Artikulation, diese Nuancen! – den Ton ein bisschen gedehnt, eine Winzigkeit kürzer, sanft oder etwas heftiger angestoßen oder an den nächsten angeschmiegt, eine ganze Phrase wie hingegossen im dichtesten Legato und in der x-ten Wiederholung alles noch mal ganz anders. Seine gute Laune und sein inspiriertes Spiel waren eins, aus dem Herzen in die Fingerspitzen. Und das alles aus dem Stegreif, spontan hingeworfen, mit leichter Hand – ein Geniestreich.
Wie konnte er das, ein Autodidakt, der nie eine Musikschule von innen gesehen hatte? Zweifellos war die Begegnung mit dem von ihm hochverehrten Hans Zettl in den sechziger Jahren ein seltener Glücksfall. Der geniale Klarinetten- und Saxophonspieler hatte ihn in die Jazzharmonik eingeführt und ihm vertrackte Griffe auf dem Akkordeon gezeigt. Von dem einen oder anderen Bandmitglied mag er manches abgeschaut und übernommen haben. Aber von einem „Lehrmeister“ über einen längeren Zeitraum kann keine Rede sein. Ein Glücksfall mag auch sein, dass er nie Notenlesen gelernt hatte, sich auch nicht damit befassen wollte. Und für die speziell für die Steirische Harmonika entwickelte Griffschrift hatte er auch nichts übrig. Er war von Kindesbeinen an auf seine Ohren angewiesen, und dieses Training bescherte ihm schließlich ein phänomenales musikalisches Gehör.
Wie die Jazzeleven, die via Tonträger von ihren Idolen nach Gehör lernen, ist er vorgegangen. Innerhalb kürzester Zeit hat er neue Stücke gelernt, konnte sie oft schon nach einmal Anhören nachspielen. Das Erlernen der Notenschrift war folglich zu keinem Zeitpunkt notwendig. Ich möchte sogar behaupten, dass seine musikalische Auffassungsgabe und die Fähigkeit, jedes Stück, auch wenn es ihm völlig unbekannt war, zu begleiten oder improvisatorisch zu umspielen, nicht dieses Niveau erreicht hätten, vielleicht sogar verkümmert wären, wenn er nur oder überwiegend nach Noten gespielt hätte. „Spej o, i find di scho“, konnte er deshalb unbekümmert ausrufen, wenn er – was ihm immer große Freude machte – einem anderen Ziachspieler auf seine unnachahmliche Weise „zuawefawen“ (dazufärben) konnte. Für diese Gabe war er regelrecht berühmt. Und berühmt war er auch für seine schnellen Finger. Aber ganz gleich, wie schnell oder wie laut sein Spiel war, bloße Zurschaustellung der Fingerfertigkeit und seelenloses Lärmen ist es nie gewesen.
Im Zusammenspiel, im Miteinander gemeinsamen Musizierens legte er größten Wert auf ein einheitliches musikalisches Verständnis. Im aufmerksamen Aufeinanderhören sollte ein homogener Gesamtklang wie aus einem Guss entstehen, eine Einheit in Ausdruck und Artikulation der einzelnen Stimmen. Jedem Detail in der Ausgestaltung widmete er sich mit Hingabe. Und welch ein weiterer Glücksfall war es, dass er immer wieder auf Musiker traf, die mit ihm dieses spieltechnisch und musikalisch hohe Niveau gehen konnten und wollten.
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 205 ff.)
Harti Pilsner, Gitarrist der Häuslmo-Musi von 1980 bis 1989:
Die erste Probe fand im Haus von Hansl und Irma statt: Es war gigantisch. Schon nach den ersten paar Takten wusste ich, dass ich meinen Vorstellungen von einer Musikgruppe mit diesen Musikanten nicht nur sehr nahe kam, sondern meine Erwartungen übertroffen wurden. Eigentlich hätten wir sofort öffentlich spielen können. Ich glaube, Hansl konnte das ganze Spielgut der Gerstreit und anderer oberbayerischer Musikanten rauf und runter spielen – in einer Präzision, die uns alle schon damals immer wieder verblüffte. Technische Schwierigkeiten schienen für ihn überhaupt nicht existent ... Natürlich blieb es nicht lange bei dem Spielgut von unseren oberbayerischen Vorbildern. Hans strömte nur so über vor neuen Melodien, die ihm zu allen möglichen Gelegenheiten einfielen. Und da Hans ja in erster Linie die Führungsmelodien spielte, prägte er natürlich den Musizierstil der Häuslmo-Musi ganz besonders. Dass die Musiziernächte, ob bei Veranstaltungen oder Proben, immer sehr lang wurden, war auch sehr oft dem Hansl zu verdanken, dem immer noch ein Stückl einfiel – selbst nach stundenlangem Musizieren und Weißbiergenuss. Um ein weiteres Stückl anbetteln musste man ihn wirklich nicht!
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 164)
Alfons Riesinger, Kontrabassist der Häuslmo-Musi:
Da ich mich vor meiner Zeit bei der Häuslmo-Musi selber an die zehn Jahre mit der „Diatonischen“ beschäftigt hatte (mit Kursen bei Lehrern wie Peter Posch, dem Auer Hansi oder dem Winkler Sepp, alle aus Oberbayern), wusste ich natürlich, mit welchen Griffen der Hans seiner „Ziach“ die schönsten Melodien, die auch zudem noch meist von ihm selber stammten, zu entlocken wusste. Ich begriff aber nie, woher er diese traumwandlerische Sicherheit und Präzision trotz der manchmal immensen Schnelligkeit hatte, gepaart mit einer unvergleichlichen Musikalität im Ausdruck wie Tempoverzögerungen oder unterschiedlicher Lautstärke usw. usw. Hier spielten sicher auch die Routine und Erfahrung eine große Rolle, die er sich seit seiner Jugend bis zu den Jahren bei der Häuslmo-Musi als Musiker auf dem Akkordeon und dem E-Piano in Tanzmusik-Ensembles erworben hatte.
Hans spielte nicht einfach wie viele andere Musiker. Nein, bei ihm sprang sofort der sprichwörtliche Funke über und zog die Zuhörer (und seine Mitspieler) in Bann. Ich bewunderte ihn einfach! Hans wusste das, ich hatte es ihm auch tausend Mal gesagt. Minutenlang schaute ich ihm oft „auf die Finger“. Das bemerkte er rasch. Dann huschte nur ein verschmitztes Lächeln über seine Lippen und in seinen Augen funkelte es! Das war für ihn stets ein Anreiz, noch „einen Zahn zuzulegen“, wie immer, wenn ihm jemand zusah. Das liebte er – warum auch nicht! Er hatte nichts zu verstecken (es wäre auch maustot schade gewesen!). Mit seinem musikalischen Vermögen hatte er nur zu bieten – und das im Überfluss!
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 173 f.)
Michael Schneider, Gitarrist der Häuslmo-Musi von 1989 bis 1997:
Wie funktionierte nicht das musikalische Zwiegespräch zwischen ihm, dem Melodienmaler, und mir, dem Begleiter, dem es vergönnt war, durch heiß und innig geliebte Bassläufe und Staccati auf der Gitarre Inspiration sein zu dürfen! Wir lachten oft aus lauter Spiellust laut drauf los, was von den übrigen Musikanten manchmal nicht gleich verstanden wurde. Es war ein ständiges Bemühen, dem anderen die Tür für eine neue musikalische Perspektive zu öffnen, um sich dann gemeinsam daran zu erfreuen. Es waren die schönsten Gespräche zwischen zwei Menschen ohne Worte!
Das Gesicht voller Schalk und Selbstwert, wenn er durch seine unnachahmliche, tänzerische und zugleich tief die Musik atmende Spielweise die Gesichtszüge seiner Zuhörer und Zuseher vor lauter Staunen entweder zum Entgleisen brachte oder die Mimik derselben in Leuchtschrift lesbar machte. Oft hatte man das Gefühl, dass es seine Zuhörer gar nicht richtig glauben konnten, was da ablief, wenn er mit seiner Virtuosität ein musikalisches Feuerwerk nach dem anderen abbrannte: eine alles entfesselnde Musikalität vom ersten bis zum letzten Takt und zur Krönung sein Lachen, wenn die Musik als Transportmittel seiner Gefühle wie immer so gut funktionierte!
Überhaupt: Ich habe den Hans nie Töne spielen hören – er hat immer Musik gemacht! Welche Fähigkeit, Gefühle auszudrücken – ob schäumende Wut oder überschwängliche Freude! Lauwarme Suppe gab es bei ihm nicht: entweder heiß oder kalt!
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S.189 f.)
Klaus Hoffmann, Geschäftsführer des Vereins für bayerische Musikkultur im ostbayerischen Raum:
Ich hörte ihn mit meinem Vater spielen und verstand seine Spielweise nicht. Dazu muss man sagen, dass ich zu dieser Zeit, Anfang der 1980er-Jahre, die ersten Gehversuche auf der Steirischen Harmonika unternahm und bereits wusste, dass man nur durch fleißiges Üben einen Auftritt bewältigen konnte. Deshalb begriff ich nicht, wie der Hans ohne Probe einfach eine Stimme zu einem ihm relativ unbekannten Stück dazuerfinden konnte. Er wechselte gekonnt zwischen dritter Stimme, Nebenstimme, einfacher Begleitung und kreierte damit ein neues Werk. Er war ein Meister der Improvisation auf der Steirischen und zu dieser Zeit einer der ganz wenigen, die das praktizierten. Die meisten Harmonika-Spieler bringen es nie zur Kunst des freien Dazuspielens und präsentieren sich in ihrer musikalischen Laufbahn als relativ wenig kreative Musikanten.
Er war natürlich nicht nur Begleiter, sondern vorwiegend Solospieler, der von anderen begleitet wurde, und er war in allem, was er tat, Perfektionist. Was heißt das eigentlich? Er versuchte zu jeder Zeit, gute Musik interessant zu gestalten und anspruchsvoll darzubieten, was ihm zweifelsfrei gelungen ist. Fehlerfreies Spiel und musikalische Hingabe verlangte er selbstverständlich auch von seinen Mitstreitern, denn er wusste sicher schon früh, dass eine Gruppe oftmals so gut klingt wie ihr schlechtestes Mitglied.
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 218)
Josef Wimmer, Volksmusikpfleger des Landkreises Passau 1995 bis 2005:
Ich durfte ihn mit der Häuslmo-Musi und dem Häuslmo-Dreig’sang bei vielen Veranstaltungen erleben, war begeistert von seinen Stücken und dem gekonnten Vortrag auf seiner Harmonika.
Meine Begegnungen mit Hans Matheis waren wie eine sehr abwechslungsreiche „volksmusikalische Sinfonie“. Da rasten mit flinken Fingern in einer schnellen Polka oder einem Galopp die lustigen, wilden, ausgelassenen und erheiternden Seiten des Lebens vorbei. In moderaten, leisen, ruhigen Liedern und getragenen Stücken kam Nachdenkliches und Tiefgründiges zum Vorschein, die Seele konnte dabei „baumeln“ und seine Zuhörer konnten die Erholung genießen und wieder Kraft tanken. Die gemütlichen Seiten des Alltages und ein zufriedenes Lebensgefühl zeigte er uns in den Baierischen und den Münchner Polkas, die trotz ihrer langsamen Gangart für viel Abwechslung sorgten. Ausgewogenheit, Schwung und vielleicht auch Übermut bereitete er uns mit den vielen Walzern, die ihn und uns mit leichten Füßen durch das nicht immer leichte Leben schweben ließen. War da nicht auch in manchen musikalischen Wendungen und Übergängen der Schelm und liebenswerte Gauner ausfindig zu machen?
Es konnten die Spielanlässe noch so unterschiedlich sein, doch eines fehlte dem Hans bei der Präsentation seiner Stücke nie: das Herz, mit dem er uns die Musik präsentierte. Jeder, der ihm zuhörte, wurde in den Bann gezogen und kam davon nicht mehr los.
(aus: Der Hanslboarische und andere Stückl, S. 18)
Franz-Xaver Lechner, Musiklehrer am musischen Pestalozzi-Gymnasium in München:
Hans Matheis ist ein moderner Volksmusikant, und zwar in dem Sinn, dass er bayerische Volksmusik geschaffen hat, die ebenso frisch, originell und frech daher kommt wie jede andere als modern empfundene Musik auch. Damit kommt ihm das seltene Verdienst zu, die Ziachmusik aus der museal verstaubten Verpackung heraus gehalten zu haben. Hier handelt es sich nicht um verblassende Erinnerungsstücke aus der guten alten Zeit, sondern um zeitlos aktuelle Musik, die so selbstverständlich zu unserem bayerischen Lebensgefühl gehört wie die Heumandln bei Garmisch und das Internet.
Was ganz wesentlich zu der so erfreulichen Erscheinung beiträgt, ist die unglaubliche Virtuosität des Hans Matheis auf seiner Steirischen. Die kommt so unprätentiös und mit einer solchen Spielfreude daher, dass man meinen könnte, es sei nichts Besonderes, auf dem Knopfakkordeon die schwierigsten Passagen mühelos zu spielen und auch noch so herrlich musikalisch zu gestalten. Tatsächlich aber reiht er sich mit seinem Erfindungsreichtum, seinem Können und seiner Ausdrucksfähigkeit in eine Tradition, die andernorts mit Astor Piazolla im Tango nuevo und André Verchuren in der Musette bereits klingende Namen erhalten hat.
Noch eines soll über die Musik gesagt werden, und das ist zunächst eine ganz subjektive Empfindung: Seine Stücke haben gleich beim ersten Hören eine bezaubernde Wirkung, ja, eine sympathische Ausstrahlung.
(aus: Booklet zur CD Matheis’n-Polka)